Die Familie ist tot!- Es lebe die Familie
Dienstag, 26. Oktober 2010
Traumkörper
Überall in den Zeitungen und im Fernsehen sieht man sie: junge, schlanke, gut aussehende Frauen. Auch Frauen die kurz nach der Geburt ihres Kindes wieder unverschämt gut aussehen z.B. Sarah Parker oder Claudia Schiffer. Natürlich versucht man sich einzureden, dass sie ja einen persönlichen Fitnesstrainer, einen Diätkoch, gute Stylisten und ein Kindermädchen das die Nachtschichten abnimmt haben. Außerdem ist ja bekannt wie schnell, einfach und unsichtbar man im Computerzeitalter alles wegretuschieren kann, was nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Ein gewisser Neid bleibt irgendwo trotzdem. Manchmal fühlt man sich dadurch auch unter Druck gesetzt.
Zuerst freut man sich ja über den wachsenden Babybauch. Findet es lustig wenn die Hosen zu eng werden. Doch dann wird es mir doch zu bunt. Ich finde kaum noch passende Hosen, obwohl ich kaum zugenommen habe. Die Pullover passen nicht mehr über den Bauch. Aber das allerschlimmste: trotz täglichem einölen zeigen sich erst wenige und dann immer mehr Schwangerschaftsstreifen. Da hilft die Erklärung man hat ein schwaches Bindegewebe dann auch nicht weiter. Ich hoffe nur animal prints sind immer noch in. Ich trage nämlich ab jetzt Zebra oder vielleicht weißer Tiger? Nach der Entbindung sieht alles noch viel schlimmer aus. Vorher konnte ich die Streifen unter dem Bauch wenigstens nicht sehen. Doch nun, nachdem der Bauch schon um ein Vielfaches geschrumpft ist, sind sie alle sichtbar. Und sie liegen jetzt auch viel dichter beisammen als in der Schwangerschaft. Das gemeinste ist jedoch, dass sie nicht gleichmäßig sind. Auf der rechten Bauchseite sind viel mehr als auf der linken. Sascha hat nämlich mit seinem Po die gesamte Schwangerschaft in meiner rechten Bauchhälfte verbracht.
Einen Monat nach der Entbindung beginne ich mich zu fragen, ob ich jemals wieder normale Dimensionen erreichen werde. Ich habe das Gefühl der Bauch ist immer noch riesig. Ich passe immer noch in keine Hose. Im Fernsehen sind die Frauen nach der Entbindung immer gleich wieder schlank. Warum funktioniert das bei mir nicht? Ich überlege was zu tun ist. Ich habe keinen persönlichen Fitnesstrainer oder Diätkoch. Also muss ich das wohl ganz alleine schaffen. Diät hat bei mir sowieso keinen Sinn. Fett ist es jedenfalls nicht, was sich dort so unschön um die Hüften rollt. Wenn man es anstößt dann zittert es wie Wackelpudding. Und es fasst sich auch genauso an. Alles nur überdehnte, erschlaffte Haut. Sollte ich doch auf eine Schönheitsoperation hinsparen oder mich im Fernsehen melden damit alle zugucken können. Andererseits brauche ich keinen Chirurgen, um die Illusion von Jugend uns Schönheit und zu erhalten. Irgendwann im Alter hängt ja sowieso alles herunter. Da kann ein Arzt dann auch nichts mehr machen. Oder man sieht aus wie eine Plastikpuppe.
Vielleicht hilft ja Sport? Ich lege also sofort los. Kurz nachdem ich wieder zu Hause bin, kommt meine Hebamme um nach dem Rechten zu sehen. Wir beginnen dann vorsichtig mit den ersten Rückbildungsübungen. Das sind zuerst Atem- und leichte Dehnungsübungen. Ich bin hoch motiviert und übe täglich eine halbe Stunde wenn es die Zeit zulässt. Dabei komme ich mir vor als wäre ich schon Achtzig Jahre alt und nicht Mitte Zwanzig. Schließlich sind alle Muskeln überdehnt oder gerissen und müssen sich wieder regenerieren. Ich habe das Gefühl nur aus Pudding zu bestehen. Selbst nach Monaten komme ich noch schnell außer Atem und habe Mühe Luft zu bekommen. Der Erfolg ist anfangs von Tag zu Tag sichtbar. Sehr zu meiner Freude. Doch dann auf einmal geht es nicht mehr weiter. Sosehr ich mich auch mühe, der Umfang nimmt nicht weiter ab. Ich passe nun schon wieder in einige Hosen, und habe auch schon einige Kilos verloren, aber von der früheren Hosengröße vierunddreißig bin ich noch weit entfernt. Wenigstens habe ich jetzt einen Busen. Körbchengröße A! Für mich ist das schon viel. Mein Mann stört sich an diesen Problemen wenig. Er sagt immer ihm wäre es egal wie ich aussehe. Er würde mich immer attraktiv finden. Das ist zwar Balsam für die Seele, hilft mir aber auch nicht dabei mich zu akzeptieren.
Als die Gymnastik also nicht mehr den gewünschten Erfolg brachte, beschloss ich härtere Geschütze aufzufahren. Fünf Wochen nach meinem Kaiserschnitt besuche ich zusammen mit Andrea einen Steppaerobickurs an der Universität. Ich merke schnell, dass ich mit der Situation überfordert bin. Alles geht viel zu schnell. Arme und Beine wollen sich nicht in Einklang bringen lassen. Springen geht schon gar nicht und auch die Beweglichkeit lässt sehr zu wünschen übrig. Ich versuche mich also lieber hinter den anderen zu verstecken. Vielleicht fällt es gar nicht auf, dass ich nichts zustande bringe. Beim Stretching passiert es dann doch. Ich höre die Stimme der Übungsleiterin: „Und wir gehen ganz tief runter. Du auch da hinten im rosa Pulli.“ Ich merke wie mein Gesicht ganz heiß wird. Wahrscheinlich habe ich schon einen ganz roten Kopf und ich nuschele nur vor mich hin: „Ich kann aber nicht.“ Denn ich hatte das Gefühl die Naht würde gleich platzen. Die Übungsleiterin beharrte aber weiterhin darauf, dass ich es kann. Nach und nach gucken alle anderen nach hinten zu mir. Ich werde wohl mittlerweile dunkelrot. Nach zwei Minuten wird es mir zu bunt und ich platze heraus: „Ich kann nicht, weil ich vor fünf Wochen einen Kaiserschnitt hatte!“ Spätestens jetzt starren mich alle an. Die Trainerin wird nun auch rot im Gesicht und Andrea muss sich das Lachen verkneifen. Ich kann das gar nicht glauben. Hatte denn keiner meinen Bauch gesehen. Ich sehe doch aus wie im sechsten Monat! Habe ich mich so geirrt? Offensichtlich! Denn noch ein weiteres Ereignis bestätigte mir, dass ich wohl unter Wahrnehmungsstörungen leiden musste.
Andi und ich gehen das erste Mal seit der Entbindung wieder gemeinsam ins Kino. Eine Freundin passt auf unseren Sascha auf. Es ist schon ein komisches Gefühl sein Kind das erste Mal „allein“ zu lassen. Die Gedanken sind die ganze Zeit über sowieso zu Hause. Ständig fragt man sich was er jetzt wohl macht. Schläft er? Schreit er? oder wird er gefüttert? Vielleicht ist unser Babysitter überfordert? Ich wische die Gedanken beiseite. Mit ein paar Freunden machen wir uns auf den Weg zum Kino um den Film „Matrix reloaded“ zu sehen. Wir geben unsere Kinokarten ab, wollen gerade durch den Eingang, da höre ich eine Stimme: „Kann ich mal deinen Ausweis sehen.“ Irritiert fragte ich: „Wer ich?“ und gucke mich dabei um. „Ja, deinen Ausweis.“, ertönt die genervte Antwort. Andi und unsere Freunde fangen an zu grinsen und zu kichern. Ich meine entrüstet: „Ich bin schon sechsundzwanzig“. Andi fügt hinzu: „und mit mir verheiratet und mit einem zweieinhalb Monate alten Kind“. Betretenes Schweigen bei meinem Gegenüber. Ich darf dann auch ohne meinen Ausweis zu zeigen durch. Also muss sich der Sport ja doch ausgezahlt haben, wenn ich nicht einmal wie sechzehn aussehe dachte ich mir. Ist das nun ein Kompliment oder doch eine Beleidigung?

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Letzte Aktualisierung: 2010.12.20, 08:58
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