Die Familie ist tot!- Es lebe die Familie
Donnerstag, 21. Oktober 2010
Mutter werden ist nicht schwer…
Als frisch gebackene Mutter erwarten einen viele neue Aufgaben. Es gibt zwar viele schlaue Bücher und Unmengen an Zeitschriften zu den verschiedensten Aspekten der Babypflege und Erziehung, aber im wahren Leben sieht doch vieles ganz anders aus.
Die erste Hürde, die als frisch gebackene Mutter zu nehmen ist - das Stillen. Obwohl ich mich auch zu diesem Thema schon ausführlich belesen hatte, wusste ich in der Praxis gar nicht wie ich das anstellen sollte. Ich starre also erst mal entsetzt auf mein Baby und weiß nicht wie ich anfangen soll. Wie muss ich ihn festhalten? Ich habe gar nicht so viele Hände wie ich bräuchte. Man möchte dem Winzling ja auch nichts abrechen. Eine Schwester, die meine Irritation bemerkt hat, unterstützt mich nach besten Kräften. Ihre Bemerkung: „ Oh, Sie haben ja gar keinen Busen!“, versuche ich zu ignorieren. Das habe ich gebraucht. Mit dieser Unzulänglichkeit muss ich schon mein ganzes Leben verbringen. Da brauche ich nicht noch eine Schwester, die mich darauf hinweist. Aber wie sehr ich mich auch mühe, das Stillen will einfach nicht gelingen. Denn ohne mich zu fragen wurde ihm schon die Flasche gegeben und nun hat Sascha natürlich keine Lust an etwas herumzusaugen wo überhaupt nichts herauskommt. Das ändert sich dann die folgenden Male. Er saugt immer kräftiger, so dass es erst nur weh tut, dann jedoch so heftig, dass ich anfange zu zittern und schließlich brüllen wir beide um die Wette. Ich habe das Gefühl als hätte er schon Zähne im Mund, so heftig beißt er zu. Entsetzt stürmt eine Ärztin ins Zimmer und fragt ob hier jemand ein Kind kriegen würde. Das war es dann mit dem Stillen. Sascha würde also ein Flaschenkind werden. Ich muss mir noch von diversen Ärzten anhören wie schmerzempfindlich ich doch sei, und soll mich nicht so anstellen. Aber das ist mir egal. Jedenfalls sind wir bei den Mahlzeiten beide zufrieden. Soviel zu dem Thema Stillen ist die beste Ernährung für ihr Kind. Es hätte ja sowieso keinen Sinn gehabt bei meinem Untergewicht auch noch ein Baby miternähren zu wollen. Irgendwoher müssen die Nährstoffe ja kommen. Da helfen auch keine gut gemeinten Ratschläge wie: „Es kommt nicht auf die Größe der Brust an.“
Für viele Mütter ist Stillen die beste Diät, aber so etwas hatte gar nicht nötig. Mit neunundvierzig Kilogramm nach der Entbindung hatte ich zum ersten Mal ein vernünftiges Gewicht, aber nicht genug um davon auch noch etwas abzugeben. Ich weiß gar nicht warum ich mich vorher so unter Druck gesetzt gefühlt habe. Ich hatte immer das Gefühl, als wäre ich eine schlechte Mutter wenn ich nicht stillen kann.
Die nächste Herausforderung ist es, das Baby allein zu versorgen. Dazu gehören baden, wickeln und anziehen. Ich habe zwar schon einige Male das Ganze von meinem Bett aus beobachtet und es sah auch alles sehr einfach aus. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich bin bei weitem noch nicht so fit wie ich dachte. Die sadistische Schwester bringt Sascha, sagte sie hätte keine Zeit und ich könnte das bestimmt schon allein. Dann verschwindet sie und ich bin auf einmal auf mich allein gestellt. OK. Wir schaffen das. Also erst einmal das erste Problem: das Aufstehen. Die Beine wollen mir immer noch nicht gehorchen und fühlen sich an wie Pudding. Habe ich etwa Muskelschwund? Es kostet meine ganze Willenskraft damit sie sich bewegen. Ich habe das Gefühl die Beine gehören nicht zu meinem Körper. Jede falsche und zu heftige Bewegung wird außerdem sofort mit einem stechenden Schmerz in der Bauchregion bestraft. Leicht schwindelig ist mir außerdem. Hoffentlich falle ich nicht um. Ich hoffe inständig, ich kann irgendwann wieder laufen. Endlich habe ich es geschafft und bin an Saschas Bettchen angelangt. Nun muss ich ihn nur noch herausheben. Dabei den Kopf stützen nicht vergessen und ihn zum Wickeltisch tragen. Auf dem Weg bloß nicht hinfallen. Noch ein paar Schritte. Geschafft! Es ist inzwischen fast eine halbe Stunde vergangen und Sascha brüllt berechtigterweise immer lauter. Ihm geht es natürlich viel zu langsam. Er hat ja schließlich großen Hunger. Jetzt muss ich ihn aber erst einmal ausziehen und die Windel wechseln. Warum schreit er nur so. Ich will ihm doch nur helfen und nicht umbringen. Die Wärmelampe ist auch an und Hände und Füße habe ich ihm auch nicht abgerissen. Endlich geschafft. Kaum hat er nach dem Windeln die Flasche im Mund, ist es endlich ruhig. Na ja, bis auf meine Bettnachbarin, die seit Tagen lauthals wegen ihrer geschwollenen Hände jammert. Die Hände sind so dick geschwollen. Und sie würde doch die Knöpfe vom Strampler nicht zukriegen und die Hände sind doch so dick usw. usw. usw. Solche Probleme möchte ich haben. Zum Glück darf sie morgen nach Hause. Ich jammere ja auch nicht und ich glaube ich hätte mehr Gründe dafür. Nur der Mann meiner Bettnachbarin tut mir leid. Der muss sich das zu Hause dann den ganzen Tag lang anhören. Wer weiß wer wohl als Nächstes mit ins Zimmer kommt. Sascha scheint nun endlich satt zu sein und bäuert zufrieden. Ich lege ihn in sein Bett und krieche vorsichtig in meines. Ich bin völlig erschöpft und will nur schlafen. Doch was ist das? Ich höre ein leichtes Schniefen aus dem Glasbettchen, das sich langsam in ein Wutgebrüll steigert. Das darf doch nicht wahr sein! Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Nach immerhin zwanzig Minuten (neuer Stationsrekord) habe ich es dann wieder aus dem Bett geschafft. Noch einmal in die Windel gucken- Nichts. Drücken die Sachen vielleicht? Auch nicht. Noch einmal füttern und dann ist endlich Ruhe. Zum Glück kommt Andi heute Nachmittag und kann das übernehmen. Ich schlafe erleichtert ein.
Nachdem ich mich etwas erholt habe, muss ich aber nun auch noch für mich sorgen. Die Duschen und Toiletten sind natürlich am Ende des Ganges, meilenweit von meinem Zimmer entfernt. Muss ich einmal dorthin, so dauert der gesamte Weg etwa eine halbe Stunde. Da ich zum Abstillen irgendwelche fiesen Tabletten bekommen habe, macht mein Kreislauf überhaupt nicht mehr mit. Ich habe kaum das Zimmer verlassen und bewege mich in Richtung Bad, da beginnt sich alles um mich zu drehen. Der Boden scheint unter den Füßen zu schwanken und fühlt sich gummiartig an. Mir wird schlecht. Alles scheint in Zeitlupe abzulaufen. Die Sekunden erscheinen endlos lang. Kurioserweise überlege ich noch ob ich mich erst übergeben und dann umfallen soll oder lieber umgekehrt. Da eilt mir eine freundliche Schwesternschülerin zur Hilfe. Sie hat wohl an meiner Gesichtsfarbe und dem starren Blick erkannt, dass ich in Not geraten war. Sie schafft es gerade noch mich in mein Bett zu bugsieren. Ich liege dort erst einmal und warte ab bis die Karussellfahrt zu Ende ist. Mein Magen beruhigt sich auch langsam wieder. Doch nun piekst die dumme Naht, weil die Blase zum platzen voll ist. Na toll! Keine Schwester zu sehen. Was soll ich jetzt machen? Da wird mir wohl nicht anderes übrig bleiben als wieder aufzustehen und es erneut zu versuchen. Diesmal habe ich Glück. Ich schaffe es tatsächlich allein zur Toilette. Die Tabletten habe ich dann die folgenden Male einfach unauffällig verschwinden lassen. Es ging dann auch schon viel besser. Kaum bin ich von meinem Toilettenabenteuer zurück, da ist auch schon der Kleine wieder dran. Ich glaube ich klingele erst mal nach einer Schwester. Ist mir egal was die denken. Ich kann nicht mehr!
In den folgenden Tagen ist Sascha dann das liebste Kind der Station. Nur selten hört man von ihm ein wimmern oder quengeln. Wichtig ist nur ihn ausreichend und vor allem pünktlich zu füttern. Denn beim Essen versteht er keinen Spaß. Er ist so pünktlich wie eine Schweizer Taschenuhr. Es ist als wüsste er genau wann vier Stunden um sind. Er braucht dann immer reichlich Milch. Oft auch einen Nachschlag. Er nimmt so viel er eben kriegen kann. Ich glaube er wird uns noch die Haare vom Kopf essen.
Auch in der ersten Nacht, die ich mit ihm gemeinsam in unserem Krankenzimmer verbringe, weil die Schwestern zu viel zu tun haben oder zu faul sind, bleibt er ruhig und friedlich. Hoffentlich bleibt das auch weiterhin so pflegeleicht.

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Letzte Aktualisierung: 2010.12.20, 08:58
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